Abschiedsbrief Richard Wagners
Aus einem Brief Minnas aus dieser Zeit
...
Richard
reist schon vorher fort, ich weiß noch nicht wohin, vielleicht
nach Italien. Mit ihm spreche ich über diesen Fall gar nicht, wir
sind scheinbar gut miteinander, er leidet zuweilen, doch nicht um mich,
und ich nur um ihn. Ich hasse die Welt, daß die schwachen Menschen
einander solche Qualen bereiten.
(Buchausgaben zu Minna Planer/Wagner)
Wagners
Abreise verzögerte sich, auch nachdem die Freunde ihn bereits alle
verlassen hatten, zu seiner größten Pein von Tag zu Tag,
da es ihm nur schwer gelang, die nötigen Geldmittel für sich
und Minna
aufzubringen. Endlich am 17. August 1858 verließ er sein trautes
Asyl. Es ist wohl einer der tragischsten Augenblicke in Wagners
abenteuerreichem Leben, als er die Stätte, an der er seine dauernde
Heimat gefunden wähnte, die er mit solchem Jubel und siegesfreudigen
Frohlocken betreten, nach kaum Jahresfrist fluchtartig verlassen mußte,
um wieder einsam und heimatlos in die Fremde zu ziehen. An ihm und Mathilde
erfüllte sich jetzt das Tristanschicksal in seiner ganzen tragischen
Wucht.
Julius
Kapp: Richard
Wagner an Mathilde und Otto
Wesendonk. Tagebuchblätter und Briefe. 1915
Ja
selbst an Mathilde Wesendonk hatte er trotz seines unten erwähnten
Entsagungsentschlusses einen Hilferuf gerichtet (im Briefwechsel nicht
enthalten), den sie sehr feinsinnig durch die Ermahnung zu entsagungsvoller
Standhaftigkeit erwiderte, symbolisch angedeutet in einem ihm übersandten
Bronzeguß vom Löwen von San Marco.
Julius
Kapp: Richard
Wagner und die Frauen. Eine erotische Biographie. 1919
Asyl, 6. Juli 1858, Dienstag früh
Gewiß
erwartest Du nicht, daß ich Deinen wunderschönen, herrlichen
Brief unbeantwortet lasse? Oder sollte ich für das edelste Wort
das schöne Recht der Erwiderung mir versagen müssen? Wie aber
könnte ich Dir erwidern, als Deiner würdig?
Die ungeheuren Kämpfe, die wir bestanden, wie könnten sie
enden, als mit dem Siege über jedes Wünschen und Begehren?
Wußten wir nicht in den wärmsten Augenblicken der Annäherung,
daß dies unser Ziel sei?
Gewiß! Nur weil es so unerhört und schwierig, war es eben
nur nach den härtesten Kämpfen zu erreichen. Haben wir nun
aber nicht alle Kämpfe ausgekämpft? Oder welche könnten
uns noch bevorstehen? - Wahrlich, ich fühle es tief: sie sind zu
Ende!
Als ich vor einem Monate Deinem Manne meinen Entschluß kundgab,
den persönlichen Umgang mit Euch abzubrechen, hatte ich Dir - entsagt.
Doch war ich hierin noch nicht ganz rein. Ich fühlte eben nur,
daß nur eine vollständige Trennung, oder - eine vollständige
Vereinigung unsre Liebe vor den schrecklichen Berührungen sichern
konnte, denen wir sie in den letzten Zeiten ausgesetzt gesehen hatten.
Somit stand dem Gefühle von der Notwendigkeit unsrer Trennung die
- wenn auch nicht gewollte - aber gedachte Möglichkeit einer Vereinigung
gegenüber. Hierin lag noch eine krampfhafte Spannung, die wir beide
nicht ertragen konnten. Ich trat zu Dir, und klar und bestimmt stand
es vor uns, daß jene andre Möglichkeit einen Frevel enthalte,
der selbst nicht gedacht werden durfte.
Hierdurch erhielt aber die Notwendigkeit unsrer Entsagung von selbst
einen anderen Charakter: der Krampf wich einer mild versöhnenden
Lösung. Der letzte Egoismus schwand aus meinem Herzen, und mein
Entschluß, Euch wieder zu besuchen, war jetzt der Sieg der reinsten
Menschlichkeit über die letzte Regung eigensüchtigen Sehnens.
Ich wollte nur noch versöhnen, lindern, trösten - erheitern,
und somit auch mir das einzige Glück zuführen, das mir noch
bereitet sein kann.
So tief und schrecklich, wie in den vergangenen letzten Monaten, habe
ich nie zuvor in meinem Leben empfunden. Alle früheren Eindrücke
waren inhaltlos gegen diese letzten. Erschütterungen, wie ich sie
bei jener Katastrophe erlitt, mußten mir tiefe Spuren eingraben;
und konnte etwas noch den großen Ernst meiner Stimmung steigern,
so war es der Zustand meiner Frau. Während zwei Monaten sah ich
jeden Tag der Möglichkeit der Nachricht von ihrem plötzlichen
Tode entgegen; denn diese Möglichkeit hatte mir der Arzt andeuten
müssen. Alles um mich atmete Todesduft; all mein Vorwärts-
und Rückwärtsblicken traf auf Todesvorstellungen, und das
Leben - als solches - verlor für mich seinen letzten Reiz. Zur
äußersten Schonung gegen die Unglückliche angehalten,
mußte ich dennoch den Entschluß zur Zerstörung unsres
soeben erst gegründeten letzten häuslichen Herdes fassen,
und, zu ihrer größten Bestürzung, ihr diesen endlich
mitteilen.
Mit welchem Gefühle glaubst Du wohl, daß ich in dieser schönen
Sommerzeit dieses reizende, so ganz und einzig meinen Wünschen
und einstigen Bestrebungen entsprechende Asyl mir überblickte,
wenn ich am Morgen das liebe Gärtchen durchwanderte, dem gedeihenden
Blumenflor zusah und die Grasemücke belauschte, die sich im Rosenbäumchen
ihr Nest gebaut hatte? Und was dieses Losreißen vom letzten Anker
für mich hieß, das sage Dir selbst, die Du meinen Sinn so
innig kennst, wie keines!
Floh ich schon einst vor der Welt, wähnst Du, ich könnte nun
wieder in sie zurückkehren? Jetzt, wo alles bis zum äußersten
zart und empfindlich in mir geworden ist durch die immer längere
Entwöhnung von aller Berührung mit ihr? Noch meine letzte
Begegnung mit dem Großherzog von Weimar zeigt mir deutlicher als
je, daß ich nur noch in der allerbestimmtesten Unabhängigkeit
gedeihen kann, so daß ich jede Möglichkeit irgendeiner einzugehenden
Verpflichtung, selbst gegen diesen wirklich nicht unliebenswürdigen
Fürsten, innerlichst von mir abweisen mußte. Ich kann - kann
der Welt mich nicht wieder zuwenden; in einer großen Stadt dauernd
mich niederlassen, ist mir undenkbar; und - soll ich dagegen wieder
an die Gründung eines neuen Asyles, eines neuen Herdes denken,
nachdem ich diesen, kaum genossen, hinter mir zertrümmern mußte,
den Freundschaft und edelste Liebe in diesem reizenden Paradiese mir
gründeten? O nein! - Von hier fortgehen, ist gleichbedeutend für
mich mit - untergehen!
Ich kann nun, mit diesen Wunden im Herzen, mir keine Heimat wieder zu
gründen versuchen!
Mein Kind, ich kann mir nur noch ein Heil denken, und dies kann nur
aus der innersten Tiefe des Herzens, nicht aber aus irgendeiner äußeren
Veranstaltung kommen. Es heißt: Ruhe! Ruhe der Sehnsucht! Stillung
jedem Begehren! Edle, würdige Überwindung! Leben für
andre, für andre - zum Troste für uns selbst!
Du kennst jetzt die ganze ernste, entscheidende Stimmung meiner Seele;
sie bezieht sich auf meine ganze Lebensanschauung, auf alle Zukunft,
auf alles, was mir nahesteht, - und so auch auf Dich, die Du mir das
Teuerste bist! Laß mich nun noch auf den Trümmern dieser
Welt des Sehnens - Dich beglücken!
Sieh, nie in meinem Leben, in irgendeinem Verhältnisse war ich
je aufdringlich, sondern stets von fast übertriebener Empfindlichkeit.
Nun will ich denn Dir zum ersten Male aufdringlich erscheinen und bitte
Dich, über mich recht innerlich ruhig zu sein. Ich werde Euch nicht
oft besuchen, denn Ihr sollt mich fortan nur noch sehen, wenn ich sicher
bin, Euch ein heitres, ruhiges Gesicht zu zeigen. - Sonst suchte ich
wohl im Leiden und Sehnen Dein Haus auf: dorthin, von wo ich mir Trost
holen wollte, brachte ich Unruhe und Leiden. Das soll nicht mehr sein.
Siehst Du mich daher längere Zeit nicht mehr, so - bete für
mich im stillen! - Denn dann, wisse, daß ich leide! Komme ich
aber dann, so sei sicher, daß ich Euch eine holde Gabe meines
Wesens ins Haus bringe, eine Gabe, wie es vielleicht nur mir verliehen
ist zu spenden, mir, der so viel und willig litt.
Wahrscheinlich, ja - gewiß, tritt nun auch nächstens, ich
vermute schon Anfang Winters, die Zeit ein, wo ich für länger
mich ganz von Zürich entferne; meine nun bald erwartete Amnestie
wird mir Deutschland wieder erschließen, wohin ich periodisch
zurückkehre, um das einzige mir zu ersetzen, was ich hier mir nicht
bereiten konnte. Dann werde ich Euch oft lange nicht mehr sehen. Aber
dann wieder in das nun mir so traut gewordene Asyl zurückkehren,
um mich auszuruhen von Plage und unvermeidlichem Ärger, reine Luft
zu atmen, und neue Lust zum alten Werke zu fassen, für das mich
nun einmal die Natur auserwählt hat, - dies wird dann immer, wenn
Ihr es mir vergönnt, der sanfte Lichtblick sein, der dort mich
aufrechterhält, der süße Trost, der hier mir winkt.
Und - hättest Du dann mir keine höchste Lebenswohltat erwiesen?
Ich dankte Dir nicht das einzige, das auf dieser Erde mir noch dankenswert
erscheinen kann? Und ich sollte nicht zu lohnen suchen, was Du mit so
unsäglichen Opfern und Leiden mir errungen?
Mein Kind, die letzten Monate haben mir an den Schläfen das Haar
merklich gebleicht; es ist eine Stimme in mir, die mit Sehnsucht mir
nach Ruhe ruft, - nach der Ruhe, die ich vor langen Jahren schon meinen
"Fliegenden Holländer" sich ersehnen ließ. Es war
die Sehnsucht nach - "der Heimat" -, nicht nach üppigem
Liebesgenuß! Ein treues, herrliches Weib nur konnte ihm diese
Heimat erringen. Laß uns diesem schönen Tode weihen, der
all unser Sehnen und Begehren birgt und stillt! Laß uns seelig
dahinsterben, mit ruhig verklärtem Blick und dem heiligen Lächeln
schöner Überwindung! Und - keiner soll dann verlieren, wenn
wir - - siegen!
Leb' wohl, mein lieber heiliger Engel!